Mitochondriopathien

Wenn die Energieproduktion in den Zellen gestört ist

Unter dem Begriff Mitochondriopathien werden verschiedene neuromuskuläre Syndrome zusammengefasst. Ihr gemeinsames Kennzeichen ist, dass die mitochondriale Atmungskette und damit die Energieproduktion in den Mitochondrien gestört sind. Hält diese Fehlfunktion über längere Zeit an, werden die betroffenen Zellen beschädigt oder können sogar absterben.

Die Folge: Fehlfunktion oder sogar Ausfall von ganzen Organsystemen. Für die Betroffenen kann das im schlimmsten Falle den Tod bedeuten.

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Multisystemerkrankungen

Mitochondriopathien werden auch als Multisystemerkrankungen bezeichnet, da unterschiedliche Systeme des Körpers betroffen sind und auch die Symptome sehr unterschiedlich sein können. Grundsätzlich kann jedes Organ im menschlichen Körper von mitochondrialen Erkrankungen betroffen sein, vor allem jedoch die Muskulatur sowie das Nervensystem.

Ursächlich für Mitochondriopathien sind Mutationen in der mitochondrialen DNA (mtDNA).

Häufig über die Mutter vererbt

Mitochondriale Erkrankungen treten zumeist im Kindesalter sowie im frühen Erwachsenenalter auf und können ganz unterschiedlich verlaufen. Mit dem Fortschreiten der Erkrankung verschlimmern sich die Mitochondriopathien allerdings in der Regel.

Bei Mitochondriopathien handelt es sich um Erbkrankheiten, die sporadisch aber auch familiär vorkommen können. Die Vererbung erfolgt zumeist über den maternalen Erbgang. Die für die Erkrankung ursächlichen Mutationen werden also über die Mutter weitergegeben. Seltener erfolgt die Weitergabe der ursächlichen Mutation auch als autosomale Vererbung. Darüber hinaus können spontane Mutationen Mitochondriopathien auslösen.

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Welche Funktion haben Mitochondrien in unserem Körper?

Mitochondrien sind die Energiekraftwerke in unseren Zellen. Sie stellen rund 90 Prozent unseres körperlichen Energiebedarfs sicher. In den Mitochondrien werden Kalorien mit Hilfe von Sauerstoff in Energie umgewandelt.

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Was ist die mitochondriale Atmungskette?

Die mitochondriale Atmungskette (oxidative Phosphorylierung) steht für die Übertragung von Elektronen auf Sauerstoff innerhalb der Zelle. Über diesen Elektronentransport gewinnt die Zelle Energie.

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Häufige angeborene Stoffwechselerkrankung

Bei Mitochondriopathien handelt es sich um seltene Erkrankungen. Nach Schätzungen erkrankt etwa einer von 5.000 Menschen daran. Damit gehören Mitochondriopathien zu den häufigsten angeborenen Stoffwechselerkrankungen.

Die DNA-Mutationen, die zu einem Ausbruch der Erkrankung führen können, tragen allerdings vielmehr Menschen in sich. Einer von 200 Menschen ist Träger der mutierten DNA.

Tatsächlich könnten allerdings viel mehr Menschen an einer Mitochondriopathie leiden. Der Grund dafür ist, dass diese Erkrankungen erst seit vergleichsweise kurzer Zeit diagnostiziert werden. Experten gehen daher von einer Dunkelziffer bei der Erfassung der tatsächlich betroffenen Menschen aus.

Häufig schwierige Diagnose

Da es sich bei Mitochondriopathien um sehr komplexe und heterogene Erkrankungen handelt, ist die Diagnose häufig schwierig und umfasst viele Untersuchungen & Tests:

  • Neurologische Untersuchung
  • Augenärztliche Untersuchung
  • Bestimmung von verschiedenen Muskelenzymen per Blutentnahme
  • Muskelbiopsie
  • Laktat-Ischämie-Test (Funktionieren die Mitochondrien nicht richtig, kann es zu einer Ansammlung von Lactatsäure im Blutkreislauf kommen. Der Anstieg der Lactatsäure kann daher Aufschluss darüber geben, ob ein Betroffener unter einer Mitochondriopathie oder einer anderen Stoffwechselstörung leidet.)
  • Apparative Diagnostik per EKG, EEG, Echokardiographie sowie durch bildgebende Verfahren des Gehirns wie CCT und MRT

Ein sicherer Nachweis einer Erkrankung an Mitochondriopathie kann durch eine molekulargenetische Untersuchung erfolgen. 

Vielfältige Symptome: Der Krankheitsverlauf

Von mitochondrialen Erkrankungen sind vor allem Organe mit hohem Energiebedarf betroffen, unter anderem die Skelettmuskulatur, das Gehirn, die Nerven, Leber, Niere, das Hormonsystem, Muskeln, die Netzhäute der Augen sowie die Herzmuskulatur. Auch das Kleinhirn kann betroffen sein.

Zu den Symptomen, die durch Mitochondriopathien hervorgerufen werden können, gehören:
  • eine globale Entwicklungsverzögerung
  • Krämpfe
  • Muskelschwäche
  • Bewegungsstörungen
  • Magen Darm Probleme
  • Schlaganfallähnliche Episoden
  • Epileptische Anfälle
  • Schwierigkeiten beim Schlucken
  • Herzerkrankungen
  • Diabetes mellitus
  • Taubheit
  • Leberkrankheiten
  • Infektionsanfälligkeit
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Mitochondriale Syndrome

Häufig treten bei Mitochondriopathien bestimmte Symptomkombinationen auf. Diese werden als mitochondriale Syndrome zusammengefasst. Dazu gehören:

MELAS-Syndrom

Das MELAS-Syndrom ist eine fortschreitende, neurodegenerative Erkrankung mit akuten neurologischen Episoden. Auslöser für das Syndrom ist eine Mitochondriopathie. Das MELAS-Syndrom gehört zu den seltenen Erkrankungen. Betroffen sind bereits Kinder. Symptome sind:

  • mitochondriale Myopathie, also eine Fehlfunktion der Muskeln aufgrund unzureichender Energieversorgung,
  • Enzephalopathie, also Erkrankungen des Gehirns,
  • Laktatazidose, d. h. ein Abfall des Blut pH-Wertes durch zu viel Milchsäure,
  • schlaganfallähnliche Episoden bzw. Krankheitsschübe.

Hinzu kommen häufig Kleinwüchsigkeit, Muskelschwäche, Diabetes mellitus, Erbrechen, wiederkehrende Kopfschmerzen, Appetitverlust, Schwerhörigkeit sowie Entwicklungsverzögerungen.

Der Krankheitsverlauf bei diesem Syndrom kann ganz unterschiedlich sein. So leiden manche Betroffene nur unter Diabetes mellitus. Andere Betroffene versterben früh aufgrund von wiederholten schlaganfallähnlichen Episoden. Schritt für Schritt wird dabei das Gehirn geschädigt, verbunden mit Demenz sowie einem Verlust des Sehvermögens und der Mobilität.

Die Erkrankung kann zwischen dem ersten Lebensjahr und dem Erwachsenenalter auftreten.

Chronisch progressive externe Ophthalmoplegie

Bei der chronisch progressiven externen Ophthalmoplegie (CPEO) handelt es sich um eine fortschreitende Lähmung der äußeren Augenmuskulatur in Folge einer Mitochondriopathie.

Die Erkrankung bedeutet häufig einen schnellen, beidseitigen Sehverlust. Dies kann mit muskulären und neurologischen Ausfällen verbunden sein.

Kearns-Sayre-Syndrom

Das Kearns-Sayre-Syndrom (KSS) ist eine neuromuskuläre Erkrankung. Bei den Betroffenen ist der aerobe Zellstoffwechsel gestört. Die Erkrankungssymptome hängen vom betroffenen Gewebe ab.

Dazu gehören Erkrankungen des Herzens, Sensibilitätsstörungen, Ataxie, Diabetes mellitus, Hörstörungen, geistige Entwicklungsstörungen, Wachstumsstörungen und Motilitätsstörungen im Magen-Darm-Trakt.

MERRF-Syndrom

Beim MERRF-Syndrom handelt es sich um eine mitochondriale Enzephalopathie mit Myoklonien, also Zuckungen, und generalisierten Krampfanfällen. Typisch für das MERRF-Syndrom sind veränderte Muskelfasern.

Symptome sind neuromuskuläre Beschwerden wie Muskelschwäche, zerebelläre Ataxie, also eine Störung der Bewegungskoordination, epileptische Anfälle, Schwerhörigkeit, Kleinwuchs und Demenz

NARP-Syndrom

Das NARP-Syndrom ist eine seltene Erkrankung, die vor allem durch sensomotorisch-motorische Neuropathie (sensorische Polyneuropathie), Ataxie und Retinitis pigmentosa (NARP) gekennzeichnet ist. Sie tritt vorrangig bei jungen Erwachsenen auf.

Das Syndrom wird maternal vererbt und führt u. a. zu Erblindung, Hörverlust, Entwicklungsstörungen, epileptischen Anfällen, proximaler neurogener Muskelschwäche und Demenz.

Leigh-Syndrom

Das Leigh-Syndrom bricht vor allem bei Säuglingen zwischen 3 Monaten und 2 Jahren aus. Seltener auch bei Jugendlichen oder Erwachsenen.

Die Erkrankung entwickelt sich schubweise. Betroffene Säuglinge haben Schwierigkeiten, den eigenen Kopf zu halten, Probleme bei der Nahrungsaufnahme sowie Verzögerungen im Wachstum.

 

Weitere Symptome können Krampfanfälle, Reizbarkeit, Erbrechen oder Dauerschreien sein.

Die Erkrankung äußert sich im fortschreitenden Verlauf unter anderem durch fehlende Muskelspannung, allgemeine Schwäche sowie Atem- und Nierenprobleme.

Eine Therapie für das Leigh-Syndrom ist bislang nicht bekannt.

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Symptomatische Therapien

Mitochondriale Erkrankungen sind bislang unheilbar. Kausale Therapien liegen bisher nicht vor.

Therapien zielen daher vor allem auf die Behandlung der Symptome ab. Zu den eingesetzten Therapien gehören:

  • Medikamentöse Therapien z. B. durch eine hochdosierte Gabe des Coenzyms Q10, um Muskelbeschwerden zu bessern
  • Vitamintherapie
  • Implantation eines Herzschrittmachers bei Herzrhythmusstörung
  • Operative Therapie
  • Antiepileptische Therapie
  • Moderates körperliches Training gegen Belastungsintoleranz
  • Stammzelltransplantation
  • Zukünftig: Gentherapie

 

Betroffene Kinder und ihre Eltern sollten interdisziplinär betreut werden. Unter anderem von Kinderärzten, Radiologen sowie Humangenetikern.

Die unterschätzte Bedeutung von mitochondrialen Erkrankungen

Die Deutsche Gesellschaft für Muskelkranke e. V. weist auf die bislang unterschätzte Bedeutung von mitochondrialen Erkrankungen hin: "Mitochondrien scheinen eine viel größere Rolle für die menschliche Gesundheit zu spielen als Wissenschaftler und Ärzte dies bisher angenommen hatten. Jede Gesundheitsbeschwerde, die mit einem Energieproblem zu tun hat, könnte mit den Mitochondrien zusammenhängen."

Vor diesem Hintergrund betont die DGM die Wichtigkeit weiterer Forschungsbemühungen: "Weitere Forschungen über Mitochondrien und primär mitochondriale Krankheiten (d. h. diejenigen, die auf einem genetischen Defekt beruhen), könnten Millionen Menschen nützen. Es würde den vielen Tausend Hoffnung geben, die an dieser entkräftenden und häufig tödlichen Krankheit leiden und ein breites Band an neuen therapeutischen Ansätzen bieten, um die anderen, häufig vorkommenden Krankheiten zu behandeln."

Forschung zu Mitochondriopathien

Die Erforschung von Mitochondriopathien wird in Deutschland durch das Deutsche Netzwerk für mitochondriale Erkrankungen (mitoNET) vorangetrieben und koordiniert. Das klinische Experten-Netzwerk konnte bislang ein umfangreiches Patientenregister sowie umfassende Biobanken aufbauen. Gleichzeitig erforschen die Experten die ursächlichen Gendefekte für Mitochondriopathien, um bessere und schnellere Diagnoseverfahren sowie Behandlungsansätze zu entwickeln.

Selbsthilfegruppen

Innerhalb der DGM gibt es mittlerweile eine Diagnosegruppe Mitochondriale Erkrankungen, die sich als Selbsthilfegruppe:

  • für die Anliegen der Betroffenen stark macht,
  • Aufklärungsarbeit über Mitochondriopathien leistet,
  • Patienten- und Fachtage organisiert,
  • Forschung fördert
  • die Vernetzung mit Wissenschaft und Verbänden voranbringt.