Myotone Dystrophie oder auch Curschmann-Steinert-Syndrom

Der schlummernde Gendefekt

Die Myotone Dystrophie ist eine multisystemische Erkrankung mit muskulären und extramuskulären Symptomen, die im Krankheitsverlauf Pflege bei Myotone Dystrophie erforderlich macht. Betroffene Eltern geben den für die Erkrankung ursächlichen Gendefekt mit einer 50%tigen Wahrscheinlichkeit an ihre Kinder weiter. Die Ausprägung der Erkrankung in der Familie und im Vergleich mit anderen Betroffenen variiert stark.

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Oftmals werden angeborene bzw. erblich bedingte Muskelerkrankungen mit einer Manifestation im Kindesalter assoziiert. Zeigt ein erwachsener Mensch plötzlich spezifische Symptome, wird vorerst oft nicht an eine Muskelerkrankung gedacht – vor allem dann nicht, wenn ein Krankheitsbild vorliegt, dass zahlreiche Nebenerscheinungen aufweist, wie es bei der Myotonen Dystrophie der Fall ist. 

 

Erstbeschreibung der Myotonen Dystrophie

als Form der Muskeldystrophie

Die Myotone Dystrophie (DM1) ist eine Form der Muskeldystrophie, also des Muskelschwundes. Die Erkrankung wurde in Deutschland erstmals 1909 vom Internisten Hans Gustav Wilhelm Steinert beschrieben. Im Jahr 1912 entdeckte der Neurologe Hans Curschmann die familiäre Häufung der für die Erkrankung typischen Katarakte (Linsentrübung des Auges bzw. grauer Star), sodass man heute auch vom Curschmann-Steinert-Syndrom spricht.

Abgrenzung des Curschmann-Steinert-Syndroms zu anderen Dystrophien

clipboard Das Phänomen der Myotonie

Wie andere Muskeldystrophien ist die Myotone Dystrophie erblich bedingt. Von anderen Dystrophien kann sie dennoch leicht abgegrenzt werden. Die Betroffenen zeigen nach einer Muskelkontraktion eine verzögerte Muskelerschlaffung. Dieses Phänomen wird als Myotonie bezeichnet und ist kennzeichnend für die Erkrankung. Außerdem besteht ein charakteristisches Verteilungsmuster der Dystrophie.


Die am häufigsten befallenen Muskulaturen sind die:

  • Gesichtsmuskulatur
  • Halsmuskulatur
  • Unterarm- und Handmuskulatur
  • Unterschenkel- und Fußmuskulatur
clipboard Weitere Besonderheiten der Erkrankung

Die Besonderheit der Erkrankung besteht allerdings darin, dass die Betroffenen weitere Funktionsstörungen aufweisen, die unabhängig von der erkrankten Muskulatur sind.

 

Über den Muskelschwund hinaus auftretende Symptome sind z. B.:

  • grauer Star (Katarakt)
  • Erkrankungen des Herzens
  • Lungenpneumonie
  • Störungen beim Sprechen
  • Schluckstörungen
  • Verdauungsstörungen
  • Hörstörungen
  • Gallensteine
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Häufigkeit und Auftreten der Myotonen Dystrophie

Dominant, vererbte Muskelerkrankung

Im Vergleich zu anderen Erkrankungen tritt Myotone Dystrophie eher selten auf, unter den dominant vererbten Muskelerkrankungen ist sie jedoch die häufigste. Männer und Frauen sind gleichermaßen oft betroffen. In Europa ist sie die am weitesten verbreitete Muskelerkrankung im Erwachsenenalter. Die Häufigkeit der Erkrankung in der Bevölkerung wird in der Fachliteratur auf 1:8.000 bis 1:20.000 geschätzt.

 

Vererbung und Ursache

Die Myotone Dystrophie wird autosomal-dominant vererbt. Kinder Betroffener haben entsprechend ein Risiko von 50 Prozent, selbst zu erkranken – unabhängig von ihrem Geschlecht. Dabei besteht die Tendenz, dass die Erkrankung von Generation zu Generation früher ausbricht und auch stärker ausgeprägt ist.

Die Ursache für die Myotone Dystrophie liegt in einer Mutation des sogenannten DMPK-Gens auf dem Chromosom 19. Dieses codiert das Protein DMPK (dystrophia myotonica proteinkinase), ein Enzym, welches mitverantwortlich für die Stabilität der Muskelfasermembran ist. Bei an Myotoner Dystrophie Erkrankten findet auf dem DMPK-Gen eine Vervielfältigung eines bestimmten Genbereichs statt, die sogenannte Trinukleotid-Repeat-Expansion auf Chromosom 19q13.3.

Bei der autosomal-dominanten Vererbung des Gendefektes an die nachfolgende Generation beobachtet man in vielen Familien eine weitere Vervielfältigung bzw. Verlängerung des Gens, was wiederum eine zunehmende Schwere des Krankheitsgrads nach sich zieht. Welcher Mechanismus zu dieser weiteren Vervielfältigung führt, ist bislang noch nicht geklärt.

Beispiel autosomal-dominanter Erbgang

Myotone Dystrophie wird autosomal-dominant vererbt. Das für die Erkrankung verantwortliche, mutierte Gen liegt somit nicht auf den Geschlechtschromosomen X und Y, sondern auf einem der 22 Autosomen, also den vom Geschlecht unabhängigen Chromosomen. Außerdem ist das veränderte Gen gegenüber dem Partner-Gen allein ausreichend, um seine genetische Information im Phänotyp (Erscheinungsbild) hervorzubringen. Mehr Informationen zum Thema Vererbung finden Sie z. B. in „Basiswissen Humangenetik“ von Christian P. Schaaf und Johannes Zschocke, Springer-Lehrbuch, 2008.

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Medizinische Diagnostik

bei Verdacht auf Myotone Dystrophie

Die Diagnose Myotone Dystrophie kann in der Regel gestellt werden, sofern das für die Erkrankung typische Verteilungsmuster der Muskelverminderungen vorliegt und eine tonische Muskelanspannung (Myotonie) festgestellt wird. Ein erstes Indiz für die Erkrankung ist häufig ein besonderes Aussehen der Betroffenen, welches aus einem Schwund bzw. der Schwächung der Gesichtsmuskulatur resultiert. Oftmals werden diese ersten äußeren Anzeichen aber verkannt und die Betroffenen suchen wegen der bereits angesprochenen Begleiterscheinungen wie Seh- oder Verdauungsstörungen einen entsprechenden Facharzt auf, bevor sie einen Neurologen kontaktieren.

 

Elektromyografie (EMG)

Der Verdacht auf Myotone Dystrophie kann durch eine Elektromyografie (EMG) bestätigt werden. Bei dieser neurologischen Untersuchung wird die elektrische Muskelaktivität gemessen. Die EMG sollte durch einen erfahrenen Neurologen vorgenommen werden, da das Spektrum elektromyographischer Veränderungen bei Muskelerkrankungen außerordentlich breit ist. 

 

Molekulargenetische Untersuchung

Eine endgültige und sichere Diagnose kann eine molekulargenetische Untersuchung erbringen, durch die der Gendefekt nachgewiesen wird. Dieser direkte Gentest ist bereits vor Auftreten bestimmter Symptome möglich. Die spezielle Untersuchung kann anhand einer Blutprobe vorgenommen werden, da die weißen Blutkörperchen wie alle anderen Körperzellen die gesamte genetische Erbinformation des Menschen enthalten. Wird mittels Gentest keine der Myotonen Dystrophie entsprechende Genveränderung diagnostiziert, kann die Erkrankung ausgeschlossen werden. In diesem Fall sollte der Betroffene in jedem Fall auf Proximale Myotone Myopathie (PROMM), auch Myotone Dystrophie Typ II (DM2) oder Ricker-Syndrom, getestet werden. Beide Erkrankungen sind ähnlich, unterscheiden sich aber u. a. durch die Genorte, an denen die für die Erkrankung ursächlichen Mutationen vorliegen.

Proximale Myotone Myopathie (PROMM)

Die Proximale Myotone Myopathie (PROMM, DM2) wurde in den vergangenen Jahren als eigenständige Erkrankung gegen die Myotone Dystrophie (DM1) abgegrenzt. Die Muskelschwächung betrifft bei PROMM vorwiegend die proximalen Muskeln des Becken- und zum Teil auch des Schultergürtels. Häufig geben andauernde Muskelschmerzen den Betroffenen Anlass dazu, einen Arzt aufzusuchen, ein Symptom, das bei der Myotonen Dystrophie nur selten im Vordergrund steht. Wie die Myotone Dystrophie ist auch Proximale Myotone Myopathie eine Multisystemerkrankung, die mit zahlreichen Begleiterscheinungen wie Katarakt, Herzrhythmusstörungen oder auch Diabetes mellitus einhergeht. Ursächlich für die Erkrankung ist eine Genveränderung auf dem Chromosom 3 (Expansion eines Tetranukleotids im Zinc-Finger-Protein-9-Gen auf dem Chromosom 3q). Mehr Informationen zu diesem Thema finden Sie z. B. unter www.dgm.org.

Drei Verlaufsformen der Myotonen Dystrophie

Klinische Betrachtung

Die Myotone Dystrophie kann sowohl bei einzelnen Betroffenen innerhalb einer Familie als auch von Familie zu Familie sehr unterschiedlich verlaufen. Es gibt Betroffene, bei denen bis ins hohe Alter keine wesentlichen Beeinträchtigungen bestehen. Bei anderen treten bereits in jungen Jahren deutliche Symptome auf. Das Alter bei Krankheitsbeginn und der Charakter der Symptome hängen stark von der Ausprägung des Gendefekts ab. Klinisch gesehen können drei Verlaufsformen der Myotonen Dystrophie unterschieden werden:

Kongenitale (angeborene) Form

Bei der kongenitalen Myotonen Dystrophie zeigt sich die Erkrankung bereits bei Geburt des betroffenen Kindes. Die Symptomatik der Myotonie ist anders als bei der klassischen Form von Geburt an ausgeprägt. Die betroffenen Kinder haben Probleme bei der Nahrungsaufnahme. Sie verschlucken sich häufig und leiden unter Atemnot. Ihre motorische Entwicklung verläuft verzögert. In der Regel sind sie geistig unterentwickelt. Mit dem Heranwachsen kommt es oft zu einer Besserung der Symptomatik, die allerdings nicht anhält. Im weiteren Lebensverlauf tritt häufig wieder eine deutliche Verschlechterung ein. Diese frühe Form der Erkrankung ist sehr selten und wird in der Regel durch die Mutter an das Kind weitergegeben.

Kindliche Form

Bei der kindlichen Form der Myotonen Dystrophie sind häufig Lern- und Sprachprobleme sowie Verhaltensauffälligkeiten die einzigen Symptome der Erkrankung. Die Muskelschwäche hingegen ist gering ausgeprägt oder tritt erst im Erwachsenenalter auf. Die Diagnose Myotone Dystrophie wird entsprechend oft nicht im Kindesalter gestellt, vor allem dann nicht, wenn die Erkrankung bis dahin bei keinem der beiden Elternteile diagnostiziert wurde.

Erwachsene (klassische) Form

Die klassische und am häufigsten auftretende Form der Myotonen Dystrophie beginnt erst im Erwachsenenalter. Besonders milde Krankheitsverläufe setzen sogar erst ab dem 50. Lebensjahr ein. Bei den meisten Betroffenen schreitet die Erkrankung zudem nur langsam voran.

 

Die typische Symptomatik der erwachsenen Form der Myotonen Dystrophie ist eine Kombination aus fortschreitender Muskelschwäche, besonders im Bereich der Gesichts-, Hals-, Hand- und Unterarm- sowie Fuß- und Unterschenkelmuskulatur, mit einer verzögerten Erschlaffungsreaktion der Muskeln nach Betätigung (Myotonie). Betroffene haben z. B. Schwierigkeiten, eine geballte Faust zu lockern oder die zuvor zugekniffenen Augen wieder zu öffnen. Die Muskelschwäche in den Beinen ist nur selten so ausgeprägt, dass ein Rollstuhl erforderlich wird.

 

Im weiteren Verlauf der Erkrankung kommt es zu fortschreitenden Schluckbeschwerden oder zu einer Beeinträchtigung der Atmung, weswegen die Betroffenen zum Teil künstlich beatmet werden müssen. Je nach Erkrankungsausmaß sollten daher bei Betroffenen regelmäßig Lungenfunktionsuntersuchungen erfolgen. Außerdem führt die Myotone Dystrophie bei den meisten Betroffenen im Alter zu einer beidseitigen Linsentrübung (Katarakt).

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Therapiemöglichkeiten bei Myotoner Dystrophie

Regelmäßige physiotherapeutische und orthopädische Behandlungen

Eine Heilung oder auch medikamentöse Behandlung der Myotonen Dystrophie ist bisher nicht möglich. Allerdings sollte die Muskelschwäche regelmäßig physiotherapeutisch und orthopädisch behandelt werden, um Kontrakturen und einem progressiven Fortschreiten der Erkrankung entgegenzuwirken. Orthopädische Behandlungen können bereits vorhandene Symptome zum Teil merkbar lindern. Eine krankheitsbedingte Fußheberschwäche kann beispielsweise durch das regelmäßige Tragen von Schuhen mit hohem Schaft oder durch spezielle Schuheinlagen abgeschwächt werden.

 

Wichtig sind außerdem regelmäßige EKG-Kontrollen, um die Behandlung gefährlicher Herzrhythmusstörungen ggf. rechtzeitig einleiten zu können. Bei Operationen sollte eine postoperative Überwachung der Betroffenen erfolgen, denn an Myotoner Dystrophie-Erkrankte sprechen oft äußerst empfindlich auf Narkosemittel an. Vollnarkosen sollten entsprechend nur in den allerdringendsten Fällen angewendet werden. Es besteht die Gefahr eines Herzstillstandes während der Narkose. Für viele Betroffene und deren Familien stellt der Umgang mit einer Erbkrankheit, wie der Myotonen Dystrophie, eine große Herausforderung dar. 

Quellen und weiterführende Literatur:

DGM Deutsche Gesellschaft für Muskelkranke e. V. (Hrsg.): Myotone Dystrophie. Wissenswertes, DGM-Broschüre, 2009

DGM Deutsche Gesellschaft für Muskelkranke e. V. (Hrsg.): Myotone Dystrophien. Ein Patientenratgeber, DGM-Handbuch, 2. Auflage 2011

Kommission "Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie" (Hrsg.): Myotone Dystrophien, nichtdystrophe Myotonien und periodische Lähmungen, Leitlinien der DGN 2008, aus: Diener, H. C.; Putzki, N.: Leitlinien für die Diagnostik und Therapie in der Neurologie, Georg Thieme Verlag, 4. überarb. Auflage 2008

Harper, Peter; RGN; DGM Deutsche Gesellschaft für Muskelkranke e. V.: Myotone Dystrophie: Die Fakten, Books on Demand GmbH, 2005

Knop, Karl Christian; Rosenkranz, Thorsten; Vogel, Peter: Muskelkrankheiten des Erwachsenenalters. Symptomatik, moderne Diagnostik und Therapie, Ärzteblatt 04/2004

Schaaf, Christian P.; Zschocke, Johannes: Basiswissen Humangenetik, Springer-Lehrbuch, 2008

Linktipps:

DGM Deutsche Gesellschaft für Muskelkranke e. V.: www.dgm.org

DGN Deutsche Gesellschaft für Neurologie e. V.: www.dgn.org

 

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