GIP News • 02.11.2020

Corona-Krise und Einsamkeit in der Pflege

Corona und Einsamkeit: Auswege und Strategien für ältere, chronisch kranke und pflegebedürftige Menschen

Lösungsansätze – nicht nur für die ambulante Intensivpflege

Ältere, chronisch kranke und pflegebedürftige Menschen trifft die Corona-Krise gleich doppelt hart. Auf der einen Seite ist bei ihnen das Risiko eines schweren Krankheitsverlaufs nach einer Ansteckung mit dem Corona-Virus vergleichsweise hoch, hinzu kommen jedoch die Auswirkungen der strengen Schutzmaßnahmen in Senioren- und Pflegeeinrichtungen. Besonders schwer wiegen dabei die Besuchs- und Kontaktbeschränkungen für Angehörige, Bekannte und Freunde sowie für die Bewohner*innen untereinander. Neben Corona tritt so bei Älteren, chronisch Kranken und Pflegebedürftigen auch noch die Einsamkeit als zusätzlicher Belastungsfaktor auf.

Nicht nur Corona, auch Einsamkeit kann schwer krank machen

Soziale Kontakte, ob zu Angehörigen, Freunden, Pflegekräften oder zu anderen Bewohnern in einer Pflegeeinrichtung, sind enorm wichtig. Sie unterstützen das subjektive Wohlbefinden und vermitteln pflegebedürftigen Menschen zugleich, dass sie ihr Leben selbst unter Kontrolle haben. Mit zunehmendem Alter steigt das Bedürfnis nach Kontakten und gemeinsamen Aktivitäten mit anderen sogar noch an.

Pflegebedürftige Menschen, die ihre Aktivitäten mit anderen reduzieren müssen, sind daher nicht nur weniger glücklich und weniger mit ihrem Leben zufrieden, auch Angstzustände, Depressionen sowie stressbedingte Entzündungsprozesse im eigenen Körper oder gar Suizidversuche können die Folge sein.

 

Corona-Kontaktbeschränkungen in der Kritik

Strikte Kontaktbeschränkungen in der Pflege zum Vermeiden von Corona-Ansteckungsfällen sind daher nicht unumstritten. Der aktuelle Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble brachte es in einem viel beachteten Interview gegenüber dem Berliner Tagesspiegel auf den Punkt: "... wenn ich höre, alles andere habe vor dem Schutz von Leben zurückzutreten, dann muss ich sagen: Das ist in dieser Absolutheit nicht richtig. Grundrechte beschränken sich gegenseitig. Wenn es überhaupt einen absoluten Wert in unserem Grundgesetz gibt, dann ist das die Würde des Menschen. Die ist unantastbar. Aber sie schließt nicht aus, dass wir sterben müssen."

Und auch Verena Bentele, die Präsidentin des Sozialverbandes VdK, unterstreicht, dass die Schwächsten der Gesellschaft nicht sozial isoliert werden dürften. So würden bei einem Besuchsverbot in Senioren- und Pflegeeinrichtungen auch Grundrechte verletzt, wie das Recht auf Ehe und Familie, wenn sich beispielsweise Ehepartner nicht mehr besuchen dürften. Gleichzeitig bedeuten längere oder strengere Kontaktverbote, die nur für ältere oder pflegebedürftige Menschen gelten, eine soziale Diskriminierung, die von den Betroffenen auch als solche empfunden wird.

Unabhängig von diesen mahnenden Worten gelten jedoch weiterhin Kontaktbeschränkungen in der Pflege. Das Thema Einsamkeit bleibt also akut. Lösungsansätze unter den bestehenden Bedingungen sind wichtiger denn je.

 

Wege aus der Einsamkeit in der Pflege

Wie können Ältere, chronisch Kranke und Pflegebedürftige selbst der ihnen drohenden Einsamkeit begegnen? Wie können Angehörige, Bekannte und Freunde helfen? Und welche Möglichkeiten haben schließlich Pflegekräfte und stationäre oder ambulante Pflegeeinrichtungen, wie z. B. Intensivpflege-Wohngemeinschaften, um einer Vereinsamung ihrer Klienten zu begegnen? Wir möchten Ihnen verschiedene Wege und Strategien vorstellen, mit denen Sie der drohenden Einsamkeit etwas entgegensetzen können. Dabei lassen wir auch Erfahrungen mit einfließen, die unsere GIP-Pflegekräfte in den letzten Corona-Wochen und -Monaten in von uns betreuten Intensivpflege-Wohngemeinschaften sammeln konnten.

 

Normalität bewahren, Isolation vermeiden

In der Corona-Pandemie gelten umfangreiche Hygiene- und Kontaktregeln, die sich allerdings im Detail durchaus unterschiedlich umsetzen lassen. Stationäre Einrichtungen aber auch ambulante Intensivpflege-WGs sollten daher schauen, wie sie die aktuell geltenden Vorschriften und Regelungen möglichst im Sinne der Bewohner*innen auslegen und umsetzen können. Wo es geht, sollte die Normalität aufrechterhalten werden. Das beginnt bei der weiteren Nutzung von Gemeinschaftsräumen, Terrassen oder Gärten.


Denn eines steht fest: Isolation und Einsamkeit sind eng miteinander verbunden. Insofern kann bereits ein Ortswechsel, ein Herauskommen aus dem Bewohnerzimmer einen positiven Effekt auf das bedrückende Gefühl von Einsamkeit haben. Diese Erfahrung konnten wir auch in den von uns betreuten Wohngemeinschaften machen. Selbst wenn Kontakte nicht oder nur stark eingeschränkt möglich sind, können ein Besuch der Gemeinschaftsräume oder auch außerhäusliche Aktivitäten wie ein Spaziergang oder Alltagserledigungen Abwechslung und einfach einmal neue Eindrücke bringen.

 

Kreative Kontaktlösungen finden

Ist der Kontakt zu Angehörigen im Hause oder in der WG nicht möglich, kann vielleicht auch eine regelkonforme Lösung im Garten oder über den Gartenzaun gefunden werden. Eine tägliche Besuchsmöglichkeit und wenn es auch nur eine Person ist, ist besser als nur einmal Besuch pro Woche.

 

Zuhören und sensibel beobachten

Pflegebedürftige Menschen in der stationären oder ambulanten Pflege sind vom Pflegepersonal und der Pflegedienst- oder Einrichtungsverwaltung abhängig. Das kann dazu führen, dass sie persönliche Probleme mit der Corona-Situation oder eigene Bedürfnisse nicht ansprechen und lieber stillschweigend hinnehmen. Hier können Pflege- und Betreuungseinrichtungen gegensteuern, indem sie die ihnen anvertrauten Patienten*innen besonders sensibel beobachten und über die für alle Beteiligten extreme Situation durch Corona im Gespräch bleiben. So handhaben wir das auch bei von uns versorgten Pflegebedürftigen in ambulant betreuten WGs. Die aktuelle Situation erzeugt bei ihnen immer wieder Ärger und Wut. Umso wichtiger ist es für unsere Pflegekräfte, ihnen zuzuhören, ihre Gefühle zu verstehen, zu trösten und die Gründe für die aktuellen Kontaktbeschränkungen zu erklären.

 

Fragen beantworten und Corona erklären

Einen wesentlichen Teil der Informationen über das Corona-Virus und die damit verbundenen Einschränkungen erhalten Ältere und Pflegebedürftige in Pflegeeinrichtungen aus dem TV. Das ist in von uns ambulant betreuten Wohngemeinschaften nicht anders. Allerdings erklärt sich vieles, was über Corona und die entsprechenden Maßnahmen berichtet wird, nicht von selbst. Und auch ein Nachfragen ist im Fernsehen nicht möglich. Damit sich Klienten mit den vielen Informationen und Entscheidungen rund um Corona nicht alleingelassen fühlen, nehmen sich die Pflegekräfte in von uns betreuten WGs die Zeit, die Fragen der Patienten*innen zu Corona zu beantworten und schwierige Themen zu erklären. Denn auch Wissen hilft gegen Einsamkeit. Eine Einschränkung lässt sich leichter ertragen, wenn man sie versteht und nachvollziehen kann.

 

Keinerlei Kontaktbeschränkungen trotz Corona im Internet

Die Kompetenz älterer und pflegebedürftiger Menschen im Umgang mit dem Internet und mobiler Kommunikation hat in den letzten Jahren stetig zugenommen. Auch die Anwendungen, ob Chat oder Videotelefonie, haben sich stetig in Richtung Barrierefreiheit weiterentwickelt. Gleichzeitig sind spezielle Geräte für ältere und pflegebedürftige Menschen auf den Markt gekommen, wie Seniorenhandys oder Seniorentablets, die in Pflegeeinrichtungen eingesetzt werden können und von einzelnen Bewohnern in von uns betreuten WGs auch bereits genutzt werden. Selbst wenn der persönliche Besuch, die herzliche Umarmung oder die warme Berührung bei der Kommunikation über das Internet fehlen, kann sie doch Einsamkeit lindern, indem sie Gespräche oder auch ein Wiedersehen über den Bildschirm ermöglicht. Selbst das Abspielen eines aufgenommenen Videos mit Grüßen aus der Familie kann Freude hervorrufen. Familienmitglieder und Freunde sollten daher den Kontakt mit ihren pflegebedürftigen Angehörigen, z. B. per Chat, Video oder Telefon suchen, um einer Vereinsamung entgegenzuwirken. "Anrufen, anrufen, anrufen", empfiehlt Christa Roth-Sackenheim, Vorsitzende des Berufsverbandes Deutscher Psychiater (BVDP).

 

Einige Patienten*innen der GIP Intensivpflege sind aufgrund ihrer Erkrankung auf einen Sprachcomputer angewiesen. Auch hier konnte eine Chat-App installiert werden, so dass sie nun mit ihren Freunden und Angehörigen über einen bekannten Messenger-Dienst kommunizieren können.

 

Allerdings verlangt die Nutzung dieser Technologien auch ein wenig Übung und Routine oder je nach gesundheitlicher Situation des Klienten auch die Unterstützung durch die versorgenden Pflegekräfte. So berichtet eine erfahrene Pflegedienstleitung der GIP aus dem WG-Alltag in der Corona-Krise, dass die Pflegekräfte bei einem Anruf von Angehörigen einfach mit dem Telefon zum Bett des Klienten gingen und auf Lautsprecher schalteten. Da sich der Klient selbst nicht mehr sprachlich artikulieren konnte, übersetzten die Pflegekräfte die körperlichen Reaktionen des Klienten wie z. B. ein Lächeln für die Angehörigen.

 

Mehr als nur Kommunikation: Das Leben organisieren per Internet

Nicht nur der Kontakt zu Angehörigen kann über das Internet einfach organisiert werden. Es gibt viele weitere Möglichkeiten. So bieten z. B. Hausärzte in der Corona-Krise Online-Sprechstunden an und Lieferdienste bringen nach einer Bestellung im Internet den Einkauf direkt nach Hause.  

 

Immer ein Glücksmoment: Post von den Liebsten

Es geht aber auch ganz klassisch per Post. So kann ein lieber Brief oder ein Päckchen z. B. mit süßen Sachen oder einem Spiel für Abwechslung sorgen und so gegen die Einsamkeit helfen.

 

Eine Aufgabe haben, andere unterstützen, zufrieden sein

Nicht nur der persönliche Kontakt ist wichtig, auch gegenseitige Unterstützungsleistungen helfen Menschen dabei, gesund zu bleiben. Dabei geht es nicht primär um den Erhalt von Unterstützungsleistungen, vielmehr geht es darum, andere durch eigene Aktivitäten zu unterstützen. Denn dieses Geben erzeugt ein subjektives Wohlbefinden und unterstützt die Menschen bei ihrem Bedürfnis nach einem möglichst autonomen und selbstbestimmten Leben. Eine Strategie gegen die Einsamkeit kann es daher auch sein, Möglichkeiten und Wege zu suchen, wie sich ältere oder pflegebedürftige Menschen entsprechend ihren Möglichkeiten nützlich machen können und Aufgaben zu finden, die jedem Einzelnen das Gefühl geben, einen Beitrag zum gemeinsamen Miteinander zu leisten.

 

Gemeinsam gegen Einsamkeit: Mehr Spielräume für pflegende Angehörige

Noch ein Hinweis für pflegende Angehörige: Auch die Corona-Hilfen der Bundesregierung können dafür genutzt werden, akut eintretende Pflegefälle besser zu bewältigen und so die Vereinsamung von pflegebedürftigen Menschen zu verhindern. So hat die Bundesregierung in der Corona-Krise das Pflegeunterstützungsgeld vorerst bis Dezember 2020 von 10 auf 20 Tage verlängert, was berufstätigen Angehörigen eine pflegebedingte, berufliche Auszeit ermöglicht und mehr Zeit für die Organisation von Pflege und das Miteinander mit ihrem pflegebedürftigen Familienmitglied gibt.

 

Fazit

Die aktuelle Corona-Krise verschärft die Einsamkeit von pflegebedürftigen Menschen. Im Gegenzug wurde aber wahrscheinlich noch nie zuvor so viel über die möglichen Folgen von Kontaktbeschränkungen und Einsamkeit diskutiert. Der positive Nebeneffekt: Es wird auch verstärkt über Maßnahmen und Wege aus der Einsamkeit nachgedacht. Durchaus pragmatische Lösungsansätze gibt es verschiedene. Dass sie im normalen Pflegealltag auch tatsächlich im Sinne der pflegebedürftigen Menschen umgesetzt werden können, zeigen die Pflegekräfte der GIP Intensivpflege.    

 

Corona-Krise und Einsamkeit: Unsere Quellen und mehr Informationen

https://www.tagesspiegel.de/
https://www.sueddeutsche.de/
https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2020-10/coronavirus-aerzte-pflegepersonal-covid-19-patienten
https://www.tagesschau.de/inland/pflegeheime-corona-101.html
https://www.kkh.de/presse/pressemeldungen/pflege-corona-einsamkeit
https://www.weser-kurier.de/
https://www.bv-psychiater.de/
https://www.deutschlandfunk.de/
https://www.bayerisches-aerzteblatt.de/inhalte/details/news/detail/News/pflegeheime-im-lockdown-orte-der-einsamkeit.html  
DZA-Fact Sheet: Ältere Menschen und ihre Nutzung des Internets. Folgerungen für die Corona-Krise  https://www.dza.de/informationsdienste/ (PDF Abruf am 30.10.2020)
DZA-Fact Sheet: Risiken der Kontaktsperre für soziale Kontakte, soziale Unterstützung und ehrenamtliches Engagement von und für ältere Menschen https://www.dza.de/informationsdienste/  (PDF Abruf am 30.10.2020)

Grippeimpfung nicht vergessen

Auch in der Coronakrise gibt es eine Impfempfehlung für Risikogruppen sowie medizinisches Personal und Personal in Pflegeeinrichtungen. Oktober und November sind die besten Monate, um sich gegen Grippe impfen zu lassen.

Lesen Sie mehr >

Aktuelle Informationen zu verschärften Corona-Regeln in der Pflege

Wir informieren Euch über Verschärfungen im Zuge der zweiten Corona-Welle, die für die Pflege oder den Besuch von Pflegebedürftigen durch Angehörige besonders relevant sind.

Lesen Sie mehr >

Weitere News

Mehr aktuelle Nachrichten, Berichte und Informationen zu Veranstaltungen der GIP und GIP Bayern.

GIP-haeusliche-Intensivpflege-GIP-News-Teaser
GIP News
GIP-haeusliche-Intensivpflege-Job-News-Teaser
Job News
GIP-haeusliche-Intensivpflege-Patientenberichte-Teaser
Patientenberichte
GIP-haeusliche-Intensivpflege-Termine-Teaser
GIP Termine