GIP News • 25.11.2021

COVID-19: Triage in der Corona-Pandemie

Triage: Ein Sorgenthema auch für viele Patienten in der ambulanten Intensivpflege

Hintergründe, Leitlinien, Handlungsmöglichkeiten

Volle Kliniken, hohe Neuinfektionszahlen, Impfdurchbrüche, schwieriger Schutz von Hochrisikogruppen. Ein Blick auf die aktuellen Entwicklungen in der Corona-Krise treibt nicht nur Pflegekräften und Intensivmedizinern, sondern auch vielen unserer Patienten in der ambulanten Intensivpflege erneut den Schweiß auf die Stirn. Nicht erst seit den neuen Berichten aus verschiedenen Bundesländern über eine mögliche Überlastung einzelner Kliniken und die Verlegung von Patienten ist das Thema Triage mit Wucht wieder zurück auf der Tagesordnung und wird intensiv diskutiert.

Das Ärzteblatt berichtete bereits in der vergangenen Novemberwoche, dass eine latente Triage bereits begonnen hätte, etwa wenn ein Herzinfarktpatient eine Stunde im Rettungswagen herumgefahren werden müsse, der kein Krankenhaus mit einem freien Intensivbett gefunden werden könnte. Eine Verschlechterung der Versorgung sei im Süden und Osten von Deutsch­­land bereits eingetreten. Operationen würden verschoben.

 

Doch was bedeutet Triage eigentlich? Welche Hintergründe, Leitlinien und Handlungsmöglichkeiten gibt es? Wir versuchen aufzuklären.

 

Triage in der Corona-Pandemie

In der Medizin bedeutet Triage die Einteilung von Patienten nach ihrer Verletzungsschwere. So können Ärzte und Pflegekräfte z. B. in Notaufnahmen schnell und einfach entscheiden, welcher Patient zuerst ärztliche Hilfe benötigt. Besonders schwer verletzte Patienten haben dann Priorität vor Patienten mit weniger schweren Verletzungen. Insofern gehört Triagieren zum Alltag an deutschen Kliniken. In Krisensituationen, wie der aktuellen Corona-Pandemie, können sich allerdings die Entscheidungsparameter beim Triagieren verändern. Nämlich genau dann, wenn eine angemessene medizinische Versorgung aller Patienten nicht mehr möglich ist, weil z. B. nicht genügend Beatmungsgeräte oder Kapazitäten auf Intensivstationen zur Verfügung stehen. In solch außergewöhnlichen Situationen, sollen Ärzte und Pflegekräfte so über Behandlungen entscheiden, dass möglichst viele Patienten überleben.

 

Triage in Deutschland

Um Ärzte und Pflegekräfte bei diesen emotional und moralisch sehr schwierigen Entscheidungen zu unterstützen, wurden auch in Deutschland Triage-Richtlinien festgelegt. Sie beinhalten genaue Kriterien und Handlungsanweisungen, die Ärzten und Pflegekräften sichere Entscheidungen ermöglichen sollen, ohne dass sie individuell dafür verantwortlich sind oder strafrechtliche Konsequenzen befürchten müssen. Gleichzeitig soll durch die Leitlinien das Vertrauen der Bevölkerung in das Krisenmanagement an den Kliniken gestärkt werden. Darüber hinaus sollen die Leitlinien sicherstellen, dass kein Patient bevorzugt behandelt wird und so alle Patienten die gleiche Chance auf eine Behandlung erhalten.

 

Die aktuell geltenden Triage-Leitlinien im Überblick

Die deutschen Leitlinien wurden von acht medizinischen Fachgesellschaften erarbeitet und als "Entscheidungen über die Zuteilung intensivmedizinischer Ressourcen im Kontext der COVID-19-Pandemie" veröffentlicht. Die Richtlinien gelten als S1-Leitlinie (Registernummer 040-013) und enthalten genaue Kriterien, nach denen Ärzte und Pflegekräfte die Behandlung von Patienten priorisieren können. Aktuell werden die deutschen Leitlinien überarbeitet. Dabei geht es vor allem um das Thema Gleichbehandlung von geimpften und nicht geimpften Patienten in der Gesundheitsversorgung. Darüber hinaus um die Beachtung des Gleichheitsgebotes bei der Erhöhung der Ressourcen zugunsten der Versorgung von Patienten mit COVID-19.

 

Ziele der Triage

Ziel einer Triage ist es, bei knappen intensivmedizinischen Ressourcen so viele Patienten wie möglich zu behandeln. Die Ressourcen sind knapp, wenn sowohl das eigene Krankenhaus (Intensivstation und Notaufnahme), als auch andere Kliniken regional und überregional keinen Platz mehr für einen intensivpflichtigen Patienten anbieten können. Ärzte und Pflegekräfte müssen dann entscheiden, bei welchen Patienten intensivmedizinische Maßnahmen begonnen werden oder bei welchen Patienten bereits begonnene intensivmedizinische Maßnahmen beendet werden.

 

Zentrales Entscheidungskriterium bei der Priorisierung sind dabei die klinischen Erfolgsaussichten. Patienten mit einer nur sehr geringen Überlebensaussicht werden, wenn nicht anders vermeidbar, nicht intensivmedizinisch behandelt. Vorrangig intensivmedizinisch behandelt werden hingegen die Patienten, die durch die Maßnahmen eine höhere Überlebenschance haben.

 

Die Priorisierung bezieht sich allerdings nicht nur auf COVID-19-Patienten, sondern auf alle Patienten, die eine intensivmedizinische Betreuung benötigen. Ganz unabhängig davon, wo sie gerade im Krankenhaus versorgt werden (Intensivstation, Notaufnahme, Allgemeinstation).

 

Entscheidungskriterien bei Priorisierungen

Bei die Prüfung der klinischen Erfolgsaussichten eines Patienten werden verschiedene Kriterien berücksichtigt:

  • Wie schwer ist die Erkrankung?
  • Welche Informationen zum Patientenwillen liegen vor?
  • Wie ist der allgemeine Gesundheitszustand des Patienten?
  • Gibt es Begleiterkrankungen wie Immunschwäche oder eine Krebserkrankung, die die Diagnose verschlechtern können?
  • Welche prognostisch relevante Scores liegen vor (z. B. SOFA-Score, ein medizinischer Score zur Beurteilung von Patienten auf Intensivstation) ?
  • Speziell bei COVID-19 sollen zudem Erfahrungen und Erkenntnisse zu Behandlungsmöglichkeiten und Erfolgsaussichten berücksichtigt werden.

 

Nicht als alleiniges Entscheidungskriterium herangezogen werden darf das kalendarische Alter. Auch der soziale Status eines Patienten, sein Einkommen oder Bildungsstand sowie bestimmte Grunderkrankungen oder Behinderungen dürfen bei Priorisierungen keine Rolle spielen.

 

Für das Treffen von Triage-Entscheidungen gilt dabei immer ein Mehraugenprinzip. Kein Arzt soll allein entscheiden. Die Leitlinien empfehlen, dass mindestens zwei Intensivmediziner sowie eine erfahrene Pflegekraft zusammen entscheiden sollten. Die Entscheidungen müssen zudem regelmäßig überprüft und angepasst werden, z. B. wenn sich der Zustand eines Patienten verändert oder wenn wieder mehr Kapazitäten zur Verfügung stehen.

 

Und auch der Patient muss der Behandlung zustimmen, z. B. im Rahmen einer Patientenverfügung.

 

Gesetzliche Regelungen?

Staatliche Vorgaben und Regelungen, wie von Medizinern gefordert, wird es für Triage-Entscheidungen in Deutschland voraussichtlich nicht geben. Das verbietet Artikel 1 des Grundgesetzes. Die darin festgeschriebene Würde des Menschen schließt ein Eingreifen der Politik in diesen Bereich aus, da Menschenleben nicht gegen Menschenleben abgewogen werden dürfen.

 

Gibt es Alternativen?

Sind Triage-Entscheidungen nach den in Deutschland geltenden Empfehlungen nun das beste Verfahren um in einer Situation knapper intensivmedizinischer Ressourcen zwischen Patienten zu Priorisieren? Alternative Auswahlverfahren wie wer zuerst kommt, erhält die Versorgung oder auch Losverfahren hätten nach Ansicht von Medizinethikern auf jeden Fall einen hohen moralischen Preis. Denn einerseits könnten dadurch weitaus weniger Menschenleben gerettet werden. Auf der anderen Seite müssten eventuell auch Patienten sterben, die eine vergleichsweise gute Prognose hatten.

 

Sorgen und Kritik von Menschen mit schweren Erkrankungen und Behinderungen

Gerade intensivpflegebedürftige und beatmungspflichtige Patienten betrachten die eventuelle Notwendigkeit von Priorisierungen in deutschen Krankenhäusern stets mit Sorge, da Vorerkrankungen nach den geltenden Leitlinien ein wichtiges Entscheidungskriterium bei Priorisierungen sind. Die Richterin Nancy Poser, die selbst von Muskelatrophie betroffen ist, klagt deshalb gegen das Triage-Prinzip. Ihrer Meinung nach würden Menschen mit Behinderung im Falle der Triage aussortiert werden, denn die Kriterien zur Einschätzung, wer im Zweifel keine intensivmedizinische Behandlung bekäme, würden nur von alten und behinderten Menschen erfüllt.

 

Corona eindämmen, überlastete Kliniken vermeiden

Um eine Überlastung der Intensivstationen und damit Triage-Entscheidungen im Zuge der vierten Corona-Welle in Deutschland zu vermeiden, müssen die Hochrisikogruppen für schwere COVID-19-Krankheitsverläufe weiter bestmöglich geschützt werden. Dazu gehören schnelle und flächendeckende Booster-Impfungen, eine weitere Erhöhung der Impfquote sowie regelmäßige Tests und strengere Hygiene- sowie Kontaktregeln.

 

Ob Pflegekraft oder Angehöriger, ob jung oder alt, ob gesund oder vorerkrankt, in der aktuellen Corona-Krise kann jeder einzelne von uns dazu beitragen, die Ausbreitung des Corona-Virus zu erschweren und eine Überlastung der Kliniken zu vermeiden. Laura Gehlhaar, Bloggerin und Inklusions-Aktivistin, die selbst von einer Muskelerkrankung betroffen ist, hofft daher, dass wir aus der sehr schlimmen Krise viel über solidarisches Verhalten, Menschlichkeit und Rücksichtnahme lernen werden.

 

Aufklärung statt Alarmismus

Genauso wichtig ist es allerdings auch in der öffentlichen Debatte sachlich mit diesem Thema umzugehen und keine unnötigen Ängste bei den Risikopatienten zu schüren. Eugen Brysch, Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz warnt in diesem Zusammenhang vor Alarmismus. Denn selbst wenn in einer Stadt die Intensivbetten komplett belegt seien, gäbe es aktuell keinen Grund, so Brysch, Menschen unversorgt sterben zu lassen. Denn in allen Bundesländern stünden ausreichend freie Intensivplätze zur Verfügung.

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