IPReG Version II: Kein Aufatmen für Betroffene
IPReG birgt auch in Version zwei ein faules Ei…
Der Kampf ist nicht vorbei!
In dieser Woche ist über die sozialen Netzwerke nun der zweite Entwurf des umstrittenen Intensivpflege- und Rehabilitationsstärkungsgesetz – GKV IPReG (vormals RISG) an die Öffentlichkeit durchgesickert. Eine offizielle Meldung oder Information des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) zum Thema gibt es bisher nicht. Vielleicht aus einem guten Grund: Aktuell und auch zukünftig können Betroffene auch beim zweiten IPReG-Entwurf keinesfalls aufatmen und werden im Zweifelsfall schlechter gestellt, als bisher.
IPReG in Version II: Alles beim Alten nur anders verpackt...
Im Großen und Ganzen verfolgt auch der zweite Entwurf des geplanten Intensivpflege- und Rehabilitationsstärkungsgesetz – GKV IPReG (vormals RISG) konsequent das Ziel, die außerklinische Intensivpflege zu schwächen und den stationären Bereich zu stärken – allerdings mit einer veränderten Argumentation. Begründet wird die Zielsetzung des IPReG nunmehr verstärkt mit dem Fachkräftemangel, der in den beiden vorangegangenen Entwürfen noch keinen wesentlichen Argumentationsbaustein darstellte. Die Folge bleibt: Betroffene Pflegebedürftige werden zukünftig hinsichtlich ihrer Selbstbestimmung des Wohn- und Pflegeortes eingeschränkt sein.
Die wesentlichen Änderungen zum ersten IPReG-Entwurf kurz zusammengefasst:
Pro
Auch der neue, überarbeitete IPReG-Entwurf sieht entgegen dem Erstentwurf des vormaligen RISG einen Anspruch der Versicherten „mit einem besonders hohen Bedarf an medizinischer Behandlungspflege“ auf außerklinische Intensivpflege vor (vgl. § 37 c, Abs. 1) Die stationäre Versorgung hat scheinbar keinen grundsätzlichen Vorrang mehr.
Contra
Den „Wünschen der Versicherten, die sich auf den Ort der Leistung […] richten, ist zu entsprechen, soweit die medizinische und pflegerische Versorgung an diesem Ort tatsächlich und dauerhaft sichergestellt werden kann. Dabei sind die persönlichen, familiären und örtlichen Umstände zu berücksichtigen.“(vgl. § 37 c, Abs. 2)
Bereits in diesem Satz verbirgt sich weiterhin ein großes ABER und in den kleinen Worten „tatsächlich“ und „dauerhaft“ zwei rechtlich nicht definierte Begriffe, die viel Spielraum lassen – vor allem für denjenigen, der darüber entscheiden wird. Und dies wird auch mit IPReG in Version II der Kostenträger (nach auschließlich persönlicher Begutachtung durch den Medizinschen Dienst) sein, der letztlich nun zwar nicht mehr über eine „Angemessenheit“ entscheidet, aber dennoch im Einzelfall, allein und maßgeblich – und das nun mindestens 1-mal im Jahr! Die Frage nach den Kriterien bleibt offen.
„Die Feststellung der Voraussetzungen […] erfolgt durch die Krankenkasse nach persönlicher Begutachtung des Versicherten und des Leistungsorts durch den Medizinischen Dienst. Die Krankenkasse hat den Anspruch auf außerklinische Intensivpflege regelmäßig, mindestens jährlich zu prüfen und hierzu eine Begutachtung des Medizinischen Dienstes nach Satz 4 zu veranlassen.Verweigert der Versicherte […] eine Begutachtung des Leistungsortes in der eigenen Häuslichkeit durch den Medizinischen Dienst, kann die Leistung in der eigenen Häuslichkeit versagt […] werden.“ (vgl. § 37 c, Abs. 2)
Die persönliche Begutachtung des Betroffenen in der Häuslichkeit ist damit grundlegende Vorraussetzung für eine Entscheidungsfindung. Wird diese verweigert, entfällt der Anspruch auf eine häusliche Intensivversorgung.
Der Bestandsschutz für aktuell Betroffene entfällt!
Ein Bestandsschutz der aktuell Betroffenen wird es mit dem zweiten IPReG-Entwurf nicht mehr geben, sprich auch diese Menschen, werden ihren Anspruch auf eine häusliche Intensivpflege regelmäßig durch den Medizinischen Dienst im Auftrag der Kostenträger nach Maßgabe der dann geltenden und noch zu definierenden Anforderungen überprüfen lassen müssen.
Die neue Maßgabe: "Tatsächlich" und "dauerhaft" statt angemessen und wirtschaftlich?
Statt einer Angemessenheitsprüfung schlägt IPreG in Version II nun also eine Prüfung der „tatsächlichen" und "dauerhaften“ Sicherstellung der häuslichen Versorgung durch den Medizinischen Dienst im Auftrag des Kostenträgers vor. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt! Denn letztlich zielt dieses Prüfkriterium nun auf den knappen Faktor der Pflegekräfte ab – eine Argumentation, die das Bundesministerium für Gesundheit bisher nicht als vorrangig betrachtet hatte, auch, wenn wir diesen Aspekt schon mehrfach in Erwägung gezogen haben. Denn wo bitte sollen die Fachkräfte herkommen, die Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) dem stationären Bereich schon lange versprochen hat, wenn nicht aus dem ambulanten Bereich?
So werden mit IPReG in Version II die Karten jetzt noch einmal ganz offen auf den Tisch gelegt: Es geht nicht nur um Kosteneinsparungen, sondern auch um die zwangsweise Umverteilung von Fachkräfteressourcen. So heißt es in IPReG II unter anderem:
„In Anbetracht des Fachkräftemangels im Pflegebereich bezweckt die Neuregelung auch eine sachgerechte Allokation vorhandener Ressourcen, um nicht zuletzt die besonders aufwändige Versorgung in der eigenen Häuslichkeit des Versicherten weiterhin ermöglichen zu können, ohne die Versorgung anderer Versicherter zu gefährden.“ (vgl. Begründung B zu Nr. 3 zu Abs. 1)
„Vor dem Hintergrund des bestehenden Fachkräftemangels in den Pflegeberufen ist es wichtig, die vorhandenen Fachkräfte möglichst so einzusetzen, dass allen Versicherten eine bestmögliche Versorgung ermöglicht wird. Die stationäre Versorgung, die grundsätzlich einen effizienten Einsatz des vorhandenen Pflegepersonals ermöglicht, soll daher gestärkt werden. (vgl. Begründung B zu Nr. 3 zu Abs. 3)
Der Begriff Allokation scheint also neben „tatsächlich“ und „dauerhaft“ nun der neue Schlachtruf des BMGs unter Bundesgesundheitsminister Jens Spahn zu sein. Denn der Kampf der Betroffenen für ihre Rechte ist an dieser Stelle keinesfalls zu Ende. Denn seien wir doch einmal ehrlich: Welcher Pflegedienstleister kann den Betroffenen in Zeiten des Fachkräftemangels garantieren, dass die Versorgung auf Dauer „tatsächlich“ und „dauerhaft“ sichergestellt werden? Wohl kaum einer!
Und damit heißt es auch mit IPReG in Version II nach Prüfung des Medizinischen Dienstes und Entscheidung des Kostenträgers sehr wahrscheinlich: Ab ins Pflegeheim!
Hinweis: Der aktuelle, vollständige Entwurf steht unter anderem auf der Website des ALS mobil e.V. zum Download zur Verfügung.
GIP-Geschäftsführer Marcus Carrasco-Thiatmar sprach bereits im August 2019 Klartext zu Spahns Gesetzesvorhaben.
„Patienten in der Intensivpflege können weiter zu Hause betreut werden“, verspricht Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) immer mal wieder. Was er dabei nicht erwähnt: IPReG stellt die häusliche Intensivversorgung unter Vorbehalte, die das Selbstbestimmungsrecht der betroffenen Menschen einschränken.