GIP News • 06.07.2022

Corona-Evaluationsbericht lässt Fragen offen

Wirkung der Corona-Maßnahmen? Der Evaluationsbericht ist da!

Eher Denkanstoß als fundierte Analyse aufgrund schlechter Datenlage

Lockdown, Maskenpflicht, 2G, 3G, Schulschließungen, Corona-Tests: Eine Expertenkommission der Bundesregierung sollte evaluieren, wie wirksam die staatlich verordneten Corona-Maßnahmen waren. Am vergangenen Freitag legte die Kommission ihren lange erwarteten Evaluierungsbericht vor, der im Vorfeld schon als Generalabrechnung mit der Politik und dem RKI gehandelt wurde. Eine Generalabrechnung war dann aber doch nicht drin. Ein Hauptgrund: die "desaströse Datenlage". Wir fassen für Euch die wichtigsten Einschätzungen der Experten zusammen. Speziell auf die Situation von Pflegekräften oder Pflegebedürftigen während der Corona-Pandemie gingen sie dabei allerdings nicht ein.

Zu spät, zu wenig Daten, zu wenig Leute

Die wohl wichtigste Kritik der Experten betrifft den Zeitpunkt der Beauftragung, die Begleitforschung und Datenerhebung während der Corona-Pandemie sowie die unzureichende Ausstattung der Kommission:

  • "Die Erfüllung des Auftrags und Anspruchs durch die Evaluationskommission wurde erheblich dadurch erschwert, dass sie zur Bewertung der auf das Infektionsschutzgesetz (IfSG) gestützten Maßnahmen erst im Nachhinein aufgefordert wurde."
  • "Ferner fehlte eine ausreichende und stringente begleitende Datenerhebung, die notwendig gewesen wäre, um die Evaluierung einzelner Maßnahmen oder Maßnahmenpakete zu ermöglichen."
  • "Außerdem ist festzuhalten, dass die Evaluationskommission für eine umfassende Evaluierung dieser Fragestellung weder personell ausgestattet war, noch einen ausreichend langen Evaluationszeitraum zur Verfügung hatte."

Diese Kritik macht deutlich, warum eine detaillierte Evaluation der Corona-Maßnahmen von der Kommission nicht geleistet werden konnte. Und das, obwohl die Wissenschaftler die pandemiebegleitende Forschung sowie qualitativ hochwertige Daten als wichtig für die demokratische Kontrolle staatlichen Handels einschätzen. Das nicht nur viel Geld kostete, sondern auch erhebliche Freiheitseinschränkungen mit sich brachte.

 

Wie schätzen die Experten nun die verschiedenen Corona-Maßnahmen ein?

Lockdown

Die Experten sehen es als plausibel an, dass durch weniger enge Kontakte auch die Infektionen reduziert werden. Gerade zu Beginn einer Pandemie sei es sinnvoll, die Übertragung in der Bevölkerung soweit es geht zu reduzieren, um das Gesundheitssystem vorzubereiten sowie Ausbrüche lokal zu begrenzen. Kritisch blicken die Experten auf längere Lockdowns. Denn je länger ein Lockdown andauere und je weniger Menschen die Maßnahmen noch mittragen, desto geringer sei der Effekt und umso stärker seien die nicht-intendierten Folgen.

 

Kontaktnachverfolgung

Eine Wirksamkeit der Kontaktnachverfolgung sehen die Experten ähnlich wie bei Lockdowns nur in der frühen Phase einer Pandemie. Wichtig seien allerdings bundesweit einheitliche Systeme sowie eine bessere Digitalisierung.

 

2G/3G-Zugangsbeschränkungen

Einen hohen Effekt haben Zugangsbeschränkungen wie 2G oder 3G nur in der ersten Zeit nach einer Boosterimpfung oder Genesung. Anschließend lasse der Schutz vor einer Infektion deutlich nach. Sollten zukünftig wegen einer möglichen Überlastung des Gesundheitswesens wieder Zugangsbeschränkungen eingeführt werden, empfehlen die Experten Testungen unabhängig vom Impfstatus als Zugangsbedingung.

 

Schulschließungen

Wie wirksam waren Schulschließungen? Diese Frage ist nach Ansicht der Experten nach wie vor offen. Nicht zuletzt, da in den Schulen verschiedene Maßnahmen eingesetzt wurden und so die Effektivität einzelner Maßnahmen nicht genau beurteilt werden kann. Was aber klar und durch verschiedene Studien belegt ist, dass die Kita- und Schulschließungen zahlreiche, nicht-intendierte Auswirkungen auf die Kinder hatten.

 

Maskenpflicht

Das Tragen von Masken kann nach Ansicht der Experten "ein wirksames Instrument in der Pandemiebekämpfung" sein. Nicht enganliegende oder schlechtsitzende Masken könnten jedoch einen verminderten bis keinen Effekt bewirken. Die Maskenpflicht solle zukünftig auf Innenräume und Orte mit höherem Infektionsrisiko beschränkt bleiben. Was die Experten aus den vorliegenden Daten nicht ableiten können, ist eine generelle Empfehlung zur Nutzung von FFP2-Masken.

Allerdings: "In Risikosettings, wie medizinischen oder pflegerischen Bereichen, sollte aus hygienischer Sicht zum Fremd- und Selbstschutz aber die FFP2-Maske präferiert werden."

 

Folgen der Pandemie-Maßnahmen für die Menschen

Die Experten gehen in ihrem Bericht auch auf die Folgen der Pandemie für jeden Einzelnen sowie für bestimmte Gruppen ein:

  • Die Pandemie habe Familien mit Kindern härter getroffen als Haushalte ohne Kinder sowie Mütter stärker als Väter. Vor allem auf Frauen und jüngere Menschen habe die Pandemie erhebliche psychosoziale Auswirkungen gehabt. Für die Zukunft empfehlen die Experten mehr präventive Maßnahmen und Therapieangebote sowie die Gewährleistung eines Mindestmaßes an sozialen Kontakten gerade bei Kindern und Jugendlichen.
  • Soziale Ungleichheiten auch in Bezug auf die Chancen für ein gesundes Leben wurden durch die Pandemie und die Corona-Maßnahmen verstärkt. Soziale Ungleichheit sollte in der Pandemiepolitik zu einem eigenständigen Thema werden. Das betrifft z. B die Kontrolle des Infektionsschutzes in der Arbeitswelt oder auch die geschlechtsspezifischen Auswirkungen von Corona-Maßnahmen. Durch die Kita- und Schulschließungen seien z. B. vor allem die Erwerbstätigkeit und das Wohlbefinden von Müttern eingeschränkt worden. Die Experten reden hier von einer "Retraditionalisierung von Geschlechterkulturen". Die Corona-Hilfen seien vor allem männlichen Erwerbstätigen zugutegekommen. Die Folgen der Pandemie dürften nicht einseitig zu Lasten von Frauen und Kindern gehen.

 

Juristische Bewertung

Letztlich gehen die Experten auch auf die Frage ein, wie die bisherigen Pandemie-Maßnahmen juristisch zu bewerten sind. Beim Infektionsschutzgesetz (IfSG) sehen sie "erheblichen Reformbedarf". Die "Feststellung der epidemischen Lage von nationaler Tragweite" (§ 5 Abs. 1 IfSG) halten sie für eine "juristisch fragwürdige Konstruktion". Auch die Rolle der Exekutive mit ihren wesentlichen Entscheidungsbefugnissen (§ 5 Abs. 2 IfSG) halten viele Juristen für verfassungswidrig.

 

Kritik an der Corona-Kommunikation

Kritik äußern die Experten darüber hinaus an der Kommunikation während der Corona-Krise: „Wer alternative (...) Denkansätze vorschlug, wurde nicht selten ohne ausreichenden Diskurs ins Abseits gestellt. Dabei ist eine erfolgreiche Pandemiebewältigung ohne den offenen Umgang mit Meinungsverschiedenheiten (...) nur schwer denkbar.“

Die öffentliche Kommunikation während einer Pandemie sollte grundlegend verändert werden. Der Grund: Schutzmaßnahmen können nur wirken, wenn die Menschen auch bereit sind, mitzumachen. Die Potenziale der sogenannten Risikokommunikation wurden nach Ansicht der Experten während der Pandemie mehr oder weniger nicht genutzt: "Insbesondere Unsicherheiten zum Wissensstand, zu getroffenen Maßnahmen sowie ihrer Wirkungsweise müssen in der Corona-Pandemie transparent kommuniziert werden. Professionelle Risikokommunikation sucht dabei die richtige Balance zwischen Alarmierung und Beruhigung der Bevölkerung, nimmt zu relevanten Desinformationen schnell und öffentlich Stellung und entkräftet sie nachvollziehbar."

Über den Evaluationsbericht

Die Analyse umfasst 160 Seiten. An der Erstellung waren Juristen, Mediziner, Virologen, Sozialwissenschaftler, Epidemiologen sowie Wirtschaftsexperten beteiligt.

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